top of page
AutorenbildKunst & Muße - BLOG

Der Buckelwal und ich - Ein Ausstellungsbesuch für Entspannung und Belebung

Aktualisiert: 21. Juni 2021

Für Bewohner*innen eines Demenzbereiches mit Wernicke-Korsakow-Syndrom

Forschungsstand: 21.06.2021



Langsam dämmert's mir, wie wertvoll diese besondere ästhetische Erfahrung mit dem Buckelwal in der verweltlichten Schinkelkirche in Berlin war, die gestern verwirklicht werden konnte. Auf so vielen verschiedenen Ebenen ist es uns als kleines Team von zwei Kunsttherapeutinnen und einem Arbeitstherapeuten (mit Unterstützung der Leitung und weiterer Kolleg*innen) gelungen, Menschen, die lange schon wenig von der Welt sehen konnten, als die Gänge ihrer Wohnwelt und ihren fußläufigen Kiez, mehr und auch Meer-Welt zu zeigen.


Mag es coronabedingt sein und auch, weil sich aus vielerlei Gründen der geistig-seelisch-physische Horizont der uns anvertrauten Menschen verengt hat. Unsere Bewohner*innen einer Seniorenresidenz, mit Schwerpunkt Demenz und amnestischen Syndromen, leiden unter den vielgestaltigen Folgestörungen einer Alkoholabhängigkeit, zumeist an einem Wernicke Korsakow Syndrom (hirnorganisches Psychosyndrom). Beim amnestischen Syndrom steht eine Störung des Kurzzeitgedächtnisses (Merkschwäche) im Vordergrund. Die betroffenen Menschen zeigen ebenso eine Multimorbidität. Wesentlich ist eine oftmals mit einhergehende Polyneuropathie, eine Schädigung der peripheren Nerven. Damit verbunden sind u.a. oftmals Koordinationsprobleme beim Gehen.


In unserer Seniorenresidenz erwacht gerade vieles zu neuem Leben und will ausprobiert werden. Ich fragte nach einem Gespräch mit unserem langjährigen Arbeitstherapeuten, nach Möglichkeiten, außerhäusig zu arbeiten und er brachte als "Alter Hase" im Betrieb Beispiele, was in früheren Zeiten bereits ausprobiert wurde. Möglichkeiten, z.B. Museen und Gärten zu besuchen und auch mit einem eigenen Bus dorthin zu fahren, hörte ich aus seiner Erzählung heraus.


Wie lange sehne ich mich als stud. Kunsthistorikerin und Kunsttherapeutin schon danach, mit meinen mir anvertrauten Menschen, Patient*innen und Bewohner*innen, die auch museale Kulturlandschaft Berlins und Brandenburgs zu erkunden. Mein Ansinnen und Vorschlag, zeitnah eine Ausstellung zu besuchen (Ausstellung ging bis zum 14.05.2021), wurde für gut befunden. Auch die Leitung spielte mit, so dass es ein relativ Leichtes war, das dafür Notwendige zu organisieren. Einen engagierten Kollegen, der den Bus auf Zack bringt und fährt, die Bewohner*innen und ihre Eigenarten gut und schon lange kennt. Eine Kollegin, mit der ich ohne größeren Aufwand ein museumspädagogisches und an unser Klientel angepasstes therapeutisches Konzept erstellen konnte. Und Flexibilität von allen Seiten. Auch und gerade von Bewohner*innenseite. Einen geeigneten Ort für das erste Abenteuer fand ich in der Ausstellung "The Cast Whale Project" von Gil Shachar in der Elisabeth-Kirche in Berlin Mitte.


Ein Buckelwal in einer Kirche -

Eine geeignete Ausstellung für unsere Bewohner*innen?

Probieren geht über Studieren


Ich sah die Ausstellung zwei Wochen zuvor und muss gestehen, dass ich immer noch überwältigt bin. In einer architektonisch puristischen Schinkel-Vorstadt-Kirche, deren eigenes Aussehen und Geschichte schon sehr fesselnd sind, lag ein abgeformter Buckelwahl von 14 Meter Länge quer im Raum. Ich hatte noch nie einen Wal gesehen. In Australien sah ich springende Delfine. Filme wie "Whale Rider" und "Deep Blue" kamen mir in den Sinn, genau so wie "Moby Dick", "Jona und der Wal" und Rebecca Horns Installation "In the Belly of the whale" mit der Musik von Hayden Chisholm, die ich einst im Martin-Gropius-Bau bestaunen konnte.



Im Kirchenraum erklangen durch eine Männerstimme sakrale Töne, die den Raum sanft einnahmen. Ein Dokumentar-Film zeigte auf, wie der Wal vor Ort in drei Tagen in einem komplexen Prozess abgeformt wurde. Der Wal selbst lag auf dem Rücken und zeigte uns seinen Bauch. Er starb schon im Meer und die Spuren auf seiner Haut sind Bißspuren anderer Meeresbewohner. Nach den drei Tagen der Abformung nahm das Meer den Walleib wieder zu sich. Ich staune immer noch. Die Länge von vierzehn Metern Tier kann ich kaum fassen. Ich glaube, da zeigt sich das Gefühl der Ehrfurcht und der Erhabenheit. Ein Gefühl, das auftaucht, wenn etwas Großes geschieht, was man kaum, ob auch seines transzendierenden Gehaltes, fassen kann und einen klein und doch zum Universum zugehörig, zurückläßt.

Ein weiteres Moment ist die Schlaffheit des Leibes, gerade von vorne gesehen. Der Geist, dieses Leben, das Lebendige, diese besonderen 21 Gramm, ist gewichen. Der Leib erschlafft und alles fällt in sich zusammen, weil es nicht durch den Prozess des Atmens und Zirkulierens am Leben erhalten wird.


Die Zusammenarbeit mit meiner kunsttherapeutischen Kollegin gestaltet sich leicht. Nach einem kurzen Gespräch finden wir Fragen, die wir den Bewohner*innen, als Geländer durch die Ausstellung, mit auf den Erkundungsweg geben. Denn das halte ich für wesentlich: Möglichst nicht zu überfordern. Nicht zu viele Infos, nicht zu viel wollen - das gute Maß finden - so dass am Ende ein Mehrwert, ein Erkennen mit guten Gefühlen bleiben kann. Das sinnliche Erlebnis als Erfahrung selbst, bestehend aus dem Gelände, dem Kirchenraum, der Atmosphäre im Raum mitsamt Klang, dem Wal-Kunstwerk und man selbst darin, ist schon sehr viel Input.


Ich rechne damit, als ich in die Seniorenresidenz komme, dass sich alles verzögert und vielleicht von geplanten sechs Teilnehmer*innen doch lediglich zwei mitmachen wollen. Selbst bin ich sehr aufgeregt (versuche meine Aufregung meditativ zu beruhigen), weil ich mir der Verantwortung für dieses neue Erleben auf vielen Wahrnehmungskanälen sehr bewusst bin.


Doch als ich komme, sitzen sie alle schon fertig angezogen und vorbereitet vor meiner Einzeltherapie-Türe. Die Kollegi*nnen, allem voran unser Arbeitstherapeut, haben ganze Arbeit geleistet. Dann geht es schon gut gelaunt gen Bus. Das Ein- und Aussteigen in den Bus ist ein Balance-Akt, der achtsam begangen will. Ich stehe parat, um zu stützen und gegebenenfalls zuzugreifen.


Vor Ort, an der Elisabeth-Kirche in der Invalidenstraße in Berlin Mitte, erwartet uns unsere Kollegin. Da heute der letzte Ausstellungstag ist, stehen wir in einer kleinen Schlange. Ich nutze die Zeit, um auf das Gebäude ein Augenmerk zu werfen. An was es sie von der Form her erinnern würde, frage ich. Ein Teilnehmer spricht von den Römern und damit von der Antike, ich dann von der Idee der frühchristlichen Basiliken und ihrer vielgestaltigen Nutzung. Ich erzähle davon, dass der davor liegende kleine Park zur inneren Sammlung gedacht ist, ebenso zum danach "Sinnen und Wandeln" und damit Verarbeiten von erlebten Inhalten. Wir tauchen in einen Raum der Muße ein. Zudem versuche ich Karl Friedrich Schinkel und den Stil des Klassizismus anzudeuten. Und ich frage danach, wo weitere Schinkel-Bauten in Berlin stehen könnten. Die Antworten sind vielgestaltig und verblüffen mich, weil Wissen und Beobachtungsgabe vorhanden sind. Und vor allem Interesse. Alle machen mit, so gut jede*r kann.


In der Ausstellung selbst sammeln wir uns in der Apsis der Kirche. Fast ein wenig zu sakral, aber gut um den Überblick zu gewinnen. Ich leite ein mit ein paar Worten zum Wal und dem wundervollen "Cast of the whale projekt" von dem Künstler Gil Shachar. Und dann versuche ich einen Kurzeinblick in sein künstlerisches Anliegen (so gut ich es gerade begreife) und zeige per Handy zwei Werke. Der Künstler beschäftigt sich mit dem Menschen als Stillleben, dem festgehaltenen Augenblick. Mit den großen Themen Leben, Lebendigkeit und mit Vergänglichkeit.


Die Teilnehmer*innen bekommen nun die Möglichkeit mittels vier Fragen durch den Ausstellungsaum zu gehen. Die Fragen sind so formuliert, dass jede*r Teilnehmer*in die Möglichkeit bekommt, sich im Raum einzufinden, ohne verloren zu gehen. So zumindest meine Hoffnung. Die Fragen mitsamt Klemmbrett und Stift als konkretes Geländer, wir drei Therapeuten fungieren ebenso.

Die Fragen kreisen um die subjektive Wirkung auf den Betrachter von Kunstwerk und Raum, von der Möglichkeit, sich eine Stelle am Tier selbst zu suchen, die einem gefällt und warum man sie wählt. Und was einem an der Ausstellung gefällt oder auch weniger gefällt. Der subjektive, wache Blick ist gefragt. Die Teilnehmer*innen bekommen fünfzehn Minuten Zeit, sich ein wenig durch die Fragen leiten und treiben zu lassen.


Einer Teilnehmer*in schwindelt beim Herabgehen der Apsis-Stufen. Etwas nimmt sie wahr und damit gefangen. Allein die Größe und Höhe des Raumes, im Vergleich zu ihrer derzeitigen Wohnwelt, beeindruckt sie. Sie läßt sich dennoch auf alles ein - den Raum, den Wal. Sie berührt ihn sanft in der Mitte. Mir stockt leicht der Atem, denn normalerweise berührt man Kunstwerke nur, wenn es ausdrücklich erlaubt ist. Dennoch sagt niemand etwas. Es ist eine liebevoll sanfte Geste, voller Ehrfurcht. So als würde sie mit dem Wal in den Dialog eintreten. Später im Gespräch, zurück in der Residenz, spricht sie davon, dass sie den Wal fragte, wie es ihm ergangen ist. Und dann kam dieses Schwindelgefühl. Sie sucht sich einen Stuhl und beschreibt kurz ihre Erfahrungen mit dem Wal.


Als wir uns nach der Zeit wieder zusammenfinden - zwischenzeitlich wollten einige qua Herdentrieb und Gewöhnung raus zum Rauchen, die ich wieder sanft reinhole - versucht sie kurz zu schildern, dass sie sehr beeindruckt und froh ob der Erfahrung ist, sich aber rausbegeben müsse, um Atem zu schöpfen und sich hinzusetzen. Meine Kollegin nimmt sie mit zu einer Bank nach draußen. Es ist so gut, dass wir zu dritt sind, um auf alle Neuerungen und Befindlichkeiten schnell reagieren zu können.


Alle Teilnehmeri*nnen haben einen besonderen Eindruck und jeder Eindruck scheint ein wenig anders zu sein. Von sechs sind drei Teilnehmer*innen mehr als froh (überhaupt dabei zu sein) wenn nicht gar begeistert. Eine Teilnehmerin kann sich zwar ein wenig schriftlich äußern, aber mündlich fällt ihr gerade wenig Wort ein. Sie scheint wie überwältigt und schwingt dennoch nachdenklich mit. Etwas scheint sie zu beschäftigen, was sich in diesem Moment noch klarer bekommen muss. Später, in der Residenz, sucht sie das Gespräch mit dem Arbeitstherapeuten über die Vergänglichkeit allen Lebens. Sie arbeitete lange als Krankenschwester und in einem kurzen Gespräch mit dem Arbeitstherapeuten in der Ausstellung ging es darum, was mit Organen passiert, wenn wir sterben. Sie scheint sich an ihre Zeit als Krankenschwester zu erinnern. Ein Teilnehmer, ein uriger Typ, der lange in den Bergen gelebt hat, findet den Wal toll. Seine Augen blitzen fröhlich bei seiner kurzen Erzählung. Er beschreibt, dass er sich direkt zum Walbauch, in die Mitte nahe einer Flosse, setzen würde. Ein Teilnehmer erkundet einen kleinen offenstehenden Seitenraum, nahe der Apsis. Dort findet er noch Überbleibsel des alten hölzernen Chorgestühls. Das beruhigt und begeistert ihn. Der Raum mitsamt der Ausstellung erwecken in ihm Kältegefühle. Er spüre die Kältegefühle klar im Körper wie ein Unwohlsein, ein Unlustgefühl. Den anderen Teilnehmer*innen ist nicht ganz so kalt. Eine Kühle, wie einen kühlen Hauch, spüren allerdings alle. Er fühlt sich im Leben, seiner Lebendigkeit, draußen, wohler. Er äußert auch später, dass ihm die anschließenden Sightseeing-Tour quer durch Berlin, mit Benennung einiger besonderer Bauten und Denkmäler, mit unserem Bus, mehr gefallen hat. Er möchte gerne weitere Schinkel-Bauten besuchen. Er hätte auch gerne eine weitere Schinkel-Vorstadt-Kirche mit vollständigem Gestühl gesehen. Da klingt ein Interesse an.

Ein Teilnehmer ist einfach mit dabei. Er freut sich über jede freundliche Zuwendung. In der Ausstellung ist er ruhig. Er schaut, bestimmt hat ihn etwas beeindruckt, doch er behält es für sich. Bei ihm spielen polyneuropathische Mißempfindungen eine größere Rolle als bei den anderen. Er ist mit seinem Balance-Empfinden beschäftigt. Dennoch wirkt er nicht unglücklich. Dabei sein ist alles, ist hier ein wesentliches Merkmal und Motto.

Aber der letzte Bewohner hat mich vollends verblüfft. Er ist eher ein Teilnehmer der Arbeitstherapie. Einmal schon durfte ich ihn in einem freundlich heiteren Flurgespräch kennenlernen. Er beschreibt, dass ihn die Ausstellung im Raum mit der besonderen Atmosphäre entspannen und zugleich beleben würde. Das waren genau seine Worte. Dabei wirkte er sehr fröhlich, fast euphorisch. Etwas in der Atmosphäre hat ihn an ein vertrauensvolles Wohlgefühl erinnert (Entspannung) und so angenehm zum Nachdenken und emotionalem Bewegtsein angeregt (Belebung). Das ist eine tiefgehende Beschreibung eines Müßiggangs oder Muße-Empfindens wie es im Buche steht.


Nach der Ausstellung verabschiedeten wir uns vom Raum und auch vom Wal und gingen nach draußen. Eine Zigarette wurde angesteckt und tief an ihr gezogen. Sie haben lange durchgehalten, ohne unruhig zu werden. Auf Anregung unseres Arbeitstherapeuten, der den Bus holen ging, wandelten wir nach-sinnend noch einmal um die Kirche herum, sahen die Apsis von hinten und mutmaßten, ob die roten Blumen Tulpen oder nicht doch schon Mohn seien. Wir einigten uns auf Tulpen. Aber das Rot erinnerte wirklich an Mohnblumen. Also haben alle irgendwie recht. Auch beschnupperten wir noch den Flieder, der schon wieder an Duft eingebüßt hatte.


Unsere Busfahrt führte uns quer durch Mitte. Wir sahen und benannten den Potsdamer Platz und das Kulturforum, den Tiergarten, das Holocaust-Denkmal, das Brandenburger Tor, die Komische Oper, die Neue Wache, die Staatsoper und kamen auch auf DDR-Bauten und ihre Geschichte zu sprechen.


Zurück in der Residenz suchte eine Bewohnerin das Gespräch mit dem Arbeitstherapeuten. Als ich sie nochmal ein wenig später ansprach, las sie beruhigt in ihrer Lieblingsecke einen ihrer drei Lieblingsromane. Es schien ihr gut zu gehen und ich bin gespannt, was nachwirken wird.

Ein von Herzen kommendes Dankeschön kam von der Bewohnerin, der im Ausstellungs-Raum schwindelte und die ein tiefes Erlebnis mit ihrem Wal hatte. Sie wirkte irgendwie beseelt und fast glücklich. So als wäre sie tatsächlich mit dem Wal auf Tuchfühlung gegangen. Sie erlebte auch dieses Gefühl der Ehrfurcht und Erhabenheit. Und zeigte ihr auf, dass auch sie teilhat an etwas Größerem. Manchmal vergißt sie es in dem ewig gleichen Auf und Ab des verlangsamten Lebens auf der Etage. Sie war so motiviert, mit einem anderen Bewohner zusammen, darüber nachzudenken, welche Orte sie als nächstes besuchen wollen.


Ich bin gespannt, was an Erinnerung bleiben darf. Welche Gefühle sich eingraben, wenn ich noch einmal sanft nachhake. Denn das mit dem "Wal" hat ja erst begonnen und ich bin inspiriert, wie das Abenteuer des Wales und damit des Lebens und Sinnens weitergehen darf. Ich möchte mal resümieren, dass sich der Besuch in jeder Hinsicht gelohnt hat und dass auch die Ausstellung für unsere Bewohner*innen geeignet war, um etwas für sich an Inspiration zu finden. Und auch ich habe wieder viel Gutes über das Menschsein lernen dürfen.


Es gibt ja noch so viel zu entdecken!

Und wer weiß - vielleicht führen unsere Bewohner*innen uns demnächst durch magische Orte und erzählen uns begeistert ihre Geschichten. Jede*r in seinem Rhythmus. Entspannend und belebend.


Offene Kirche + The Cast Whale Project by Gil Shachar

Donnerstag, 22. April 2021 bis Freitag, 14. Mai 2021 - täglich 11-20 Uhr St. Elisabeth - https://www.elisabeth.berlin/de/kulturkalender/offene-kirche-cast-whale-project-gil-shachar


Und das Abenteuer mit dem Buckelwal geht weiter

Ideen zu einem weiteren kunsttherapeutischem Vorgehen

Hier wird noch weitergeforscht - Stand: 21.06.2021


Vor Ort, in der Seniorenresidenz, möchte ich an unser Ausstellungserlebnis anknüpfen. Ziel ist es, einen "Roten Faden" (oder mehrere bunte) der Erinnerungen, wie den Faden der Ariadne aus dem Labyrinth des Minotaurus, zu spinnen, aus dem man einen ganzen wärmenden Pullover stricken kann.


Beim Assoziieren und Einsteigen in das Thema um den Buckelwal, fielen mir auch Filme ein, "Whale Rider" von Niki Caro oder auch "Deep Blue" von Philip Wilkinson. Und ich erinnerte mich an den Ansatz der Cinema therapy (Filmtherapie), den ich immer mal wieder mit Palliativpatient*innen einsetzte. Da ich selbst zwar nicht mehr fernsehe, dafür aber eine gute Filmesammlung zusammengetragen habe, will ich zukünftig meinen mir anvertrauten Bewohner*innen Filme, im Rahmen des "Begleiteten Sehens", zur Verfügung stellen.



Unser Einstieg nach der Ausstellung ist "Deep Blue" - Entdecke das Geheimnis der Ozeane. An der Technik feilen wir noch, so dass wir lediglich 30 Minuten Film schauen konnten. Aber für diese Minuten hat sich der Aufwand gelohnt. Es gab Popkorn aus einer Popkorn-Maschine und die Bewohner*innen waren emotional und kognitiv involviert. Ich gab' ihnen Stift und Papier und die Frage mit auf den begleiteten Seh-Weg, alles aufzuschreiben, was sie gerade besonders inspiriere, auch bewege (kreativ-therapeutisches Schreiben). Und allein der Auftakt mit den meterhohen Meereswellen und der großen Symphonie wirkte stark auf uns. In einem anschließenden Gespräch sprachen wir über unsere Eindrücke. Eine Bewohnerin stellte das phantastische Prinzip der Natur von Geben und Nehmen im Gleichgewicht, der Homöostase, heraus. Ein weiterer Bewohner zeigte sich verärgert, ob des Eingriffs der Menschen in natürliche Prozesse. Um nur zwei Beispiele für die Tiefe der Gedanken zu benennen. Resümierende Gedanken waren ebenso, dass Wissenschaftliche Forschungsergebnisse nicht von Dauer sind und dass wir als Mensch anerkennen sollten, dass wir manches wohl niemals wirklich ergründen können. Dass es Geheimnis und Geheimnisvolles in der Welt gibt und immer geben wird.


Wir wagten einen zweiten Versuch des Filmschauens mit "Deep Blue". Wieder zwei Fragen zum Mitdenken und Mitschreiben. Welche Szenen inspieren gerade am meisten und auch welches Tier einem gerade nahe stehe, anrühre oder auch begeistere.

Eine der Quintessenzen waren für v.a. zwei Bewohner*innen das tiefe Blau in all seinen Farbspielen mitsamt den herrlichen Perspektiven auf Natur und Tiere. Blau stehe für sie auch für Ruhe und Ausgeglichenheit. Und der Begriff "Seele" fiel. Blau und Meer in all seiner unglaublichen Vielgestaltigkeit und Balance als Homöostase wurde als "Seele" benannt. Ich bin immer noch erstaunt, wenn ich das hier aufschreibe.



Im Fokus: Der rote Faden der Ariadne und Begeisterung für die Sache


Um unseren Ausstellungsbesuch weiter im Gedächtnis und Herzen behalten zu können, habe ich die Digital-Bilder, die ich von der Ausstellung und von unserem Besuch gemacht habe, am Kopierer bunt, in verschiedenen Formaten, ausgedruckt. Daraus ergeben sich zahlreiche Ideen, die ich nach und nach zu verwirklichen versuche.


- Idee: jede/r Bewohner*in bekommt einen Hefter mit einem Wal-Bild und dem Ausstellungstext, ebenso seine beantworteten Fragen aus der Ausstellung. In diesem Hefter können sich alle Bilder sammeln, die in der Kunsttherapie Anwendung fanden. Auch z.B. den Ausdruck der Einladung für "Kunsttherapie und Film" mit "Deep Blue" als Auftakt. Sie werden angehalten, den Hefter mitsamt Projekt-Heft, jedesmal zur Kunsttherapie-Gruppe, mitzubringen. Allein das ist schon eine Gedächtnisleistung und trainiert unsere Merkfähigkeit.


- Idee: In das Projekt-Heft (oder ein anderes leeres Büchlein) kleben wir die kleinen Erinnerungsbilder im kleinen Format und schreiben darunter Erinnerungen mit Datum.

Umsetzung: Im konkreten Kunsttherapie-Setting (Kleingruppe) erinnern wir uns an das Erlebnis. Es ist tatsächlich viel hängengeblieben. Wir sprechen über unsere Begeisterung und auch über unsere Überforderung, weil auf einmal viele Eindrücke da waren. Einen abgeformten, toten und eingefallenen Wal gesehen zu haben, hat was mit uns gemacht. Ein Bewohner zeigt sich sprachlich sehr poetisch und ich möchte am liebsten seine feinen Formulierungen einfangen. Wieder ein anderer Bewohner erinnert sich lebhaft an die Ziegelstruktur der Kirchenwände. Als Aufgaben bekommen sie folgende (und schreiben sie in ihr Heft): 1. Erinnern Sie sich an den Ausstellungsbesuch anhand der Bilder und schreiben Sie ein paar Gedanken dazu auf. 2. Welche Orte (in Berlin) möchten Sie gerne besuchen? Ich bin gespannt, was sie daraus machen. Ich werde das nächste Mal daran anknüpfen versuchen. Schritt für Schritt immer ein bißchen weiter gehen, mit dem roten Faden der Ariadne in der Hand.


- Idee: In ein bunt ausgedrucktes Bild von Gil Shachar's abgeformten Buckelwal im DIN 3 Format collagieren wir als Team-Collage Bilder von den Bewohnern rein, evtl. auch mit anderen Elementen aus Zeitungen und Textauszügen.


Möglich ist hier vieles und ich bin gespannt, wie sich unser Pullover mit dem Ariadne-Faden strickt.


Bilder@gunillagoettlicher & www und wix




213 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comentarios


bottom of page