Originalartikel in der COLUMBA - Das Palliativ-Portal Magazin Ausgabe 01 / 2021.
Mit einer Text-Erweiterung um noch mehr Mitarbeitende-Teilnehmerstimmen und mit einer Ausstellung "Sandspiele(n) - Meine Spur im Sand" - Zengärtchenbilder in Raum Durchatmen
Forschungsstand: 28.05.2021
Dauer Projekt "Raum Durchatmen": Anfang November 2020 - Ende Mai 2021
"Der Raum Durchatmen bremst die Fahrt, öffnet den Blick, erlaubt spielerische Positionswechsel und ermöglicht neues Fokussieren. Er frischt auf für den erneuten Einsatz. Ganz schnell und ganz einfach."
Erstmal durchatmen!
Als wir Ende Oktober 2020 in der Teambesprechung saßen, kam der Anruf der Oberärztin: Der elektive Betrieb der Klinik werde heruntergefahren. Ich habe erstmal tief durchgeatmet, um so besser zu begreifen, was gerade für Veränderungen geschehen. Ich schaute aus dem Fenster, sah die Weite des Gartens und Bäume im Wind. Es half. Ich fand wieder Mut und auch einen Gedanken: da die Kunsttherapie hier untergebracht ist, und der Raum so manchem Patienten Entspannung durch allein den Ausblick schenkt, könnte er doch auch, während des Lockdowns, den Mitarbeitenden zur Verfügung stehen! Gerade jetzt, in dieser herausfordernden Zeit der Pandemie. Als Raum zum mußevollen Durchatmen. Ich schloss mich mit Kolleg*innen kurz, umriss meine Idee und sie befürworteten sie sofort. Dann ging es sehr schnell. Ich formulierte ein Konzept, fand eine Form und Hand in Hand mit v.a. unserer Seelsorgerin, der Geschäftsführung und engagierten Kolleg*innen wurde aus einer Idee ein Raum-Konzept. Eine schöne Wir-zusammen-schaffen-das!-Erfahrung.
Kommen Sie gen Garten!
Dieser Raum hat mir geholfen, bei mir, meinem Atem(-rhythmus) und damit beruhigt zu bleiben. So konnte ein neuer kreativer Gedanke entstehen.
Er unterstützt nun Andere dabei, durch den Ausblick, den möglichen Perspektivwechsel und freundliche Handreichungen, die auch bewusst unsere Sinne ansprechen, wieder zu sich, in den Augenblick, zu kommen.
Einmal kurz raus aus der permanenten Anspannung im pandemischen Klinikalltag, der gepaart ist von Druck, Aushalten von Sorgen und Ängsten. Der Raum „Durchatmen“ will ebenso eine probate Alternative bieten zur oft zelebrierten Pausenroutine mit Nikotin und Koffein. Die Tür ist offen wie ebenso das, was darin geschehen kann. Ein Möglichkeitsraum. Bis zu zwei Mitarbeitenden bietet er für 15-Minuten-Slots Raum und Zeit für sich. Maske, genügend Abstand und Stoßlüften sind die Regel. An drei Tagen die Woche versuchen wir aus der Kunsttherapie ihn, entlang unserer Kapazitäten und Ressourcen, aufzumachen.
„Diese Arbeit ist nicht messbar und auch nicht statistisch erfassbar im Erfolg und dennoch ist diese Arbeit unglaublich wichtig. Für die Mitarbeiterschaft ist dieser Raum ein ganz wichtiger Bestandteil, um weiterhin bei aller Belastung und Überlastung etwas für sich zu tun, um einigermaßen arbeitsfähig zu bleiben“, so die Seelsorgerin.
Die Resilienzforschung hat aufgezeigt, dass regelmäßige Auszeiten, Müßiggang, ein bewusster Wechsel der Blickrichtung und damit auch Neues ausprobieren, unseren Umgang mit Stress verbessern kann. Was wir da tun, ist nicht so entscheidend (Spazierengehen, Meditieren, Malen etc.): Es sollte uns ein gutes Gefühl geben und Freude bringen.
Erinnern und Üben
Wir sollten uns nur und immer wieder daran erinnern: dass wir Auszeiten brauchen und sie uns aktiv nehmen. Gerade jetzt. Dass wir für uns sorgen als Selbstfürsorge und auch für unsere Psychohygiene. Allein der positive Gedanke, bewusst „Zum Garten“ zu gehen, bewirkt schon Entspannung. Praktikabel ist auch die Idee, das, was auf Station/Büro danach weiter geschafft werden will, auf einem Zettel zu notieren und ihn bewusst vor Ort zu lassen. Dann kann man guten Gewissens zu „Durchatmen“ gehen. Das erfordert etwas Übung. Im Gelände, um das Krankenhaus, gibt es ungewöhnlich viele Vögel und v.a. alte Bäume zu entdecken. Im Flur davor steht eine Staffelei mit einem inspirierenden Bild und einem Stuhl zum Schauen und Sinnen. Im Raum gibt es Tee und Saft. Naturklänge erinnern an Waldbaden. Man kann Entspannungsmethoden to go (z.B. kleines Mandala ausmalen, ZEN-Gärtchen harken) ausprobieren. In einem Buch über Skandinavien, Bäume oder Origami blättern. Klanginstrumenten lauschen. Oder einfach nur da sein. Für einen Moment die Seele baumeln lassen.
"Durchatmen ist für mich, nach Dienstschluss, eine große Hilfe, aus diesem Hamsterrad herauszukommen, ohne dass ich mich überschlage."
Und so mancher Mitarbeitende kommt vorbei. Auch öfters. Schaut manchmal erstmal neugierig zur Türe herein. Tür-Gespräche über Interessen und Hobbys entstehen. Mehrere von ihnen erleben verstärkt Verärgerung und Frust. Nach einem Tee kommen dann auch wieder andere Themen auf, die Stimmung bessert sich. Ideen, was einem gut tut, was man gerne erleben würde, wie innere Spaziergänge. Ein erlösendes Lachen und auch angestimmte Liedchen. Einer Kollegin tut es gut, den Arbeitstag mit einem heiteren Ritual zu beenden. Sie nehme dann weniger an Sorgen mit nachhause und sie schlafe besser.
Zwei Mitarbeitende aus verschiedenen Kulturen motivieren sich immer mal gegenseitig zum Mandala-Ausmalen; der eine malt das erste Bild seines Lebens und ist sichtlich stolz. Wenn sie malen, sind sie ganz beruhigt und das erstaunt so manchen Mitarbeitenden, der zur Türe hereinschaut. So viel Ruhe. Gespräche über die Wirkung vom Ausmalen für Erwachsene entstehen und was man selbst für seine Entspannung tut und tun kann. Manchmal zeigt man uns auch Handy-Bilder von eigenen kreativen Werken. Stolz und Freude werden sichtbar. Dennoch auch Ausdruck von kreisenden Sorgen und Schamgefühlen wegen COVID-19: Eine Mitarbeitende, die immer mal auf der COVID-Station arbeitet, wird von ihrer Familie deswegen wie „ausgesondert“, müsse in einem anderen Zimmer schlafen und sich in Entfernung zu ihren Angehörigen aufhalten. Sie leidet darunter sehr. Das Sprechen darüber bringt zumindest Entlastung, nicht ganz alleine damit zu sein. Anrührende, menschlich wertvolle Momente. Emotionen vielgestaltiger Art zeigen sich. Belastende Affekte finden ihren Ausdruck mit Wut, über Angst bis Ärger und Scham. Wie auch positive und aufbauende Emotionen wie Freude, Dankbarkeit, Inspiration bis hin zu Begeisterung. Und immer wieder die Erinnerung Innezuhalten, bewusst zu atmen, jetzt da zu sein. Ein Raum wie ein Geschenk. Weil einfach mal alles oder zumindest vieles da sein darf.
"Wenn am Nachmittage die Konzentration bei der Arbeit im System sinkt, man sich vermehrt verklickt und digital verirrt, wenn der Strom an immer neuen Aspekten über alle Kanäle (Telefon intern extern, mdl. Absprache, Faxe, (Haus-)Post, Briefe, Klebezettel etc.) nicht abreißt, dann ist ein paar Minuten Durchatmen, eine Tasse Tee trinken, Stille sein, inne halten, Klängen lauschen, ein Segen, ein Kraft tanken."
Nach dem Lockdown ist wieder „Kunst & Muße - Für Mitarbeitende“ geplant, in dem es in kleinen Gruppen um Entspannung durch Muße und kreative Selbstfürsorge geht. Die Kreativ-Übungen, Anleitungen mitsamt Materialien sind preiswert, leicht für jedermann durchführbar und können gut zuhause weitergestaltet werden. Hier lernen die Teilnehmenden ihre eigenen Ressourcen und Themenstellungen kennen, um mit ihnen einen kreativen Umgang mittels Collage, Aquarell, Modellage und Kreativem Schreiben zu finden. Beides findet im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements statt.
„In uns Menschen steckt solch‘ ein Potential. Als Initiatorin und Gastgeberin dieses besonderen Raumes fühle ich mich durch die entstandenen Geschichten und Werke reich beschenkt. Danke an Alle für das entgegengebrachte Vertrauen.“
G. Göttlicher
"Zum Atmen habe ich keine Zeit" - eine erweiterte Sicht
Mein Fokus in diesem Text liegt auf den positiven Entwicklungen um Raum Durchatmen. Ich könnte auch eine erweiterte Sicht aufzeigen. Ich durfte feststellen, wie überarbeitet und überlastet das Gesundheitssystem ist. Dass Ärzt*innen sich lieber überfordern, als dass sie bewusst eine Atempause einlegen. Es ist in ihrer Haltung bisher noch wenig vorgesehen, dass Selbstfürsorge auch für sie gesund ist. Dies gilt auch für Pflegekräfte. Ich erinnere mich an einen Ausspruch eines Pflegers, der leicht angespannt wirkte und mir auf meine Anregung, Innezuhalten und bewusst zu atmen, sagte: "Zum Atmen habe ich keine Zeit."
Entspannung geschieht oft eher im sich auslassenden Plausch mit Gleichgesinnten, mit Zigarette(n) und Koffein. Oder man nimmt sich diesen Raum mit Zigarette alleine. Und das in regelmäßigen Abständen. Ein "Levelhalten", energetisch sehr hochtourig zu arbeiten, ohne wirklich Pause zu machen (machen zu können), ist sichtbar und für mich erlebbar geworden. "Raum Durchatmen" hat sicher in manchem Menschen Befremden und auch schuldhafte Gefühle ausgelöst, was sich bisweilen auch als Häme äußern konnte. Doch insgesamt blieb "Raum Durchatmen" von Anfeindungen verschont. Das ist nicht selbstverständlich. Dafür bin ich allen Kolleg*innen dankbar. Es hätte auch anders kommen können. Der Ansatz, auf liebevolle, auch kreative Art für sich zu sorgen, ist bei vielen Menschen in Gesundheitsberufen, als wertvolle und sinnvolle Idee, noch nicht wirklich angekommen. Und gegen Sucht ist bisher noch kein gutes Kraut gewachsen.
Fazit: An der Selbstfürsorge, gerade im Gesundheitsbereich, dürfen wir weiter dranbleiben und arbeiten. Hier gilt es, weiterhin Bewusstsein zu schaffen und als Vorreiter neue und liebevollere Ideen zu vertreten und aufzuzeigen.
TeilnehmerInnenstimmen
„Es war mir sehr wertvoll und auch eine große Entlastung, zu wissen, dass es diesen Raum (auch in meiner Abwesenheit) gibt.“
„Für mich eine Insel, um zur Ruhe zu kommen.“
„Die Gespräche haben mir sehr gut getan. Ich merke das ich noch klarer sehe. Und ich konnte mal abschalten. Was in der Küche da oben ja nicht wirklich möglich ist.“
"Ich finde, dass eine Dauereinrichtung zum Durchatmen installiert werden sollte. Es ist gut, einen kurzen Weg zur kleinen Entspannung zu haben."
„Allein, dass es diesen Raum gibt, ist schon so toll. Ich will ihn unbedingt noch besuchen. Und wenn möglich, würde ich gerne an einer AG mitwirken, die sich für solch‘ einen kreativen Raum als ständige Institution stark macht.“
“Ich komme gerne in meiner Pause in den Raum. Das Ausmalen mit Farben in netter Gesellschaft tut mir gut, weil es mich entspannt.”
Feedbacks am Ende der zweiten Etappe – Ende Mai 2021
„Liebe Gunilla Göttlicher, wenn ich durchatmen wollte, weil ich abgearbeitet, gestresst oder gefrustet war, hast du mich mit fröhlichen Denkanstößen wieder in die Spur gebracht. Ich hatte danach Kraft und Muße für den Feierabend. Dann hab ich den nächsten Arbeitstag zuversichtlich begonnen“
„Ich trau’s mich ja kaum zu sagen, aber die Idee mit dem Aufschreiben und damit Würdigen seiner kleineren und größeren Erfolge hilft tatsächlich gegen ein Zuviel im Hamsterrad. Meinem Mann und mir geht es jetzt wesentlich besser!“
„Ich durfte alles bringen, was sich an Frust angesammelt hatte. Und irgendwie habe ich ein kreatives und auch humorvolles Ich in mir entdeckt. Das hilft, Abstand zu gewinnen. Da will ich dran bleiben.“
„Einen Moment Seele baumeln lassen, tut so gut.“
„Der Raum Durchatmen poliert alle Sinne und lässt sie wieder funkeln aber nur, wenn man es sich erlaubt. Das Durchatmen wirkt wie ein Durchpusten. Der doch sehr schnelllebige Arbeitsalltag mit seiner engen Zielvorgabe und permanenten Spannung, lässt meist nur sehr engbahniges agieren zu. Der Raum Durchatmen bremst die Fahrt, öffnet den Blick, erlaubt spielerische Positionswechsel und ermöglicht neues Fokussieren. Er frischt auf für den erneuten Einsatz. Ganz schnell und ganz einfach.“
Eine weitere Entwicklung und ein Sichtbarwerden des Raumes -
Die Ausstellung "Sandspiele(n) - Meine Spur im Sand"- Zengärtchenbilder in Raum Durchatmen
In Raum Durchatmen entstanden wie nebenbei Bilder: Zengärtchenbilder. Meiner Erfahrung nach ein Königsweg zur Muße und damit auch zur entspannten und entspannenden Kreativität ist ein Zengärtchen mit Harke und ein wenig Zubehör (Brücke, Fische, Steine etc.). Mitarbeitende "spielten", ohne groß nachzudenken, mit den beiden unterschiedlichen Harken und fuhren damit im Sand herum. Wie durch Zauberhand entstanden leicht Bilder und auch Sinn-Bilder. Ich fotografierte die Zengärtchen-Werke ab und ließ sie den Teilnehmenden zugehen. Ich bat um einen Titel, den ich sodann in das Bild in einem Bildbearbeitungsprogramm einfügte. Auf diese Art entstanden Stimmungsbilder, die, wenn man wollte, weiteren Gesprächsstoff bieten konnten: Über Sehnsüchte auf einsamen Inseln zu sein, Fragezeichen zur Corona-Zeit, eine Erdnusskrippe uvm.
Und die Krönung des Ganzen ist nun die Ausstellung "Sandspiele(n) - meine Spur im Sand". Im Vorraum der Kapelle erfreut sie nun so manchen Mitarbeitenden und auch Patient*innen. Sie entstand in Windeseile, ohne allzuviel Aufwand und mit viel Engagement und Herzblut, in Kooperation mit unserer Seelsorgerin. Hier kann ebenfalls im Sand mit einem Holzstäbchen "gestrichen" werden. Sie lädt den/die Betrachter*in zum meditativen Eintauchen und Sinnen in klare und auch tiefgründige Sinn-Bilder ein. Die Farbe Blau erinnert an Wasser und auch Meer. Grün an Pflanzen und Garten. Gelb an Heiterkeit und Sonne. Vom Meer (Ostsee) bearbeitete Holsstücke bilden geheimnisvolle Zeichen. Alles ist so klar. Und doch verweilt man lange und will ergründen.
"Sandspiele(n)" ist ein schönes und reiches Resümee zur Muße für Mitarbeitende.
Es bedarf nicht viel, um sich froh und gelassen(er) sein zu lassen.
Lediglich einmal tief und bewusst Durchatmen hilft schon, um wieder bei sich selbst anzukommen.
Mit herzlichem Dank auch nochmal an das Team des Mitarbeitermagazins. Allen voran MC und auch die schönen Fotos von MT, von mir und dem Raum Durchatmen. Und natürlich für die so liebevoll gestalteten Poster und Mailings, die monatlich gestaltet und geschaltet werden mussten - das PR/Ö-Team des Krankenhauses - PVS, CB und MG. Die tolle Kooperation mit meinen Kolleginnen CP und CK. Und auch ein herzlicher Dank an das KD und an alle beteiligten Mitarbeitenden. Und natürlich unsere Seelsorgerin NW, ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen. Ich hoffe, ich habe keine/n vergessen.
Danke von Herzen!
Gunilla Göttlicher im Mai 2021
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